MONICA BOHLMANN FadenKunst
MONICA BOHLMANN     FadenKunst

Texte

Monica Bohlmann

 

Erzählen mit der Nadel – Monica Bohlmann stickt Gesichter mit untergründigen Geschichten

Von Dr. Stefanie Maeck

 

 

Eine Nadel kann einritzen und einstechen, sie kann Haut schmerzvoll verletzen und in sie eindringen, sie kann sie aber auch mit einem Tattoo dekorieren und ihre Fragilität und Verletzlichkeit unterstreichen. Auch Stiche mit der Nähnadel können zart, präzise und von einer sympathetischen Hand geführt sein, oder schrill, insistierend, einen Schmerz unterstreichend und von der Maschine scheinbar ohne jede Anteilnahme ausgeführt. Die Arbeiten der Künstlerin Monica Bohlmann bewegen sich in dem Spannungsfeld von Handarbeit und computergesteuerter Maschinenpräzision.

 

Einerseits scheinen sie von der lichten und warmen Welt der Frauen, von Themen wie Geburt, Weiblichkeit und Schönheit durchtränkt, was sich auch in anschmiegsamen, weichen Materialien und Tüchern wie Leinen, Wattevlies oder dem Verwenden schützenden Wachses spiegelt, andererseits führen sie durch das Aufdrucken starker digitaler Fotomotive inhaltlich montierte Irritationen ein, Schockmomente, die sich dem Auge manchmal erst auf den zweiten Moment vollständig in ihrer Bedeutung enthüllen.

 

Vielleicht ist es angesichts des „konfrontativen Ansatzes“ von Monica Bohlmann kein Zufall, dass das Sticken ihre nachhaltige Aufmerksamkeit gewonnen hat, dass die Künstlerin mit der Nadel zu malen beginnt, in die Fläche vordringt und aus dem Zusammen von Maschine und Hand ihre Arbeiten schafft: Früher war das Nähen eine domestizierende Tätigkeit für die Frau am heimischen Herd: Harmlos, weiblich, nützlich. Bohlmann bedient sich dieses tradierten Kontextes, um Themen, die die Welt der Frauen um so nachhaltiger aufbrechen, als überraschenden Sprengsatz einzuführen und den Horizont des weiblichen Gefängnisses zu transzendieren: In die sublime Eleganz der Modewelt und Modefotografie schreibt Bohlmann die Endlichkeit des menschlichen Körpers in seiner radikalsten Form ein, indem sie digital bearbeitete Modebilder mit Anatomie bestickt – Knochen, Blutbahnen, Organe: der „anatomisch geöffnete Körper“ aus der Serie „Mädchen, Models, Ikonen“ mahnt so nicht nur an eine Pseudo-Wissenschaftlichkeit, sondern vor allem an das durch Schönheit und Jugend Verdrängte – nämlich den Tod, ist „Vanitas-Motiv“ und „Memento Mori“ zugleich. Dass, was die Perfektion der Modefotografie zu überdecken scheint, tritt durch das Aufsticken radikal in den Vordergrund: Die vermeintliche harmlose „Weiblichkeit“ und Konsumierbarkeit der Arbeiten von Monica Bohlmann wird so gebrochen und ironisch subvertiert.    

 

Auch in der Serie „geboren werden“ erfolgt die größtmögliche Dehnung der „beschränkten“ weiblichen Lebenswelt durch das bruchstückhafte Montieren und Aufdrucken von Fotos aus Kriegsschauplätzen dieser Welt neben realistisch nach einem alten Geburtshilfebuch gestickten Föten. Bohlmann gibt ihren Motiven so einen prinzipiell unausschöpfbaren Bedeutungsreichtum mit: „Sieh her, in welche Welt Du geboren bist“, scheint sie ihren Neugeborenen, aber auch ihren neu geschöpften Werken zuzurufen.

 

Intuitives und Rationales verbinden sich in Bohlmanns Werk wie die Nähnadel Stoff und Faden zu einer Einheit zusammen führt. Bohlmann beschreibt das Sticken als einen kontemplativen, mit Muße und Konzentration ausgeführten Akt. Ein Akt, der dem allmählich und mit bedacht und Liebe entstehendem Artefakt auch noch die Lebenszeit seiner Stickerin, seismographisch sogar die Stimmungen und den Rhythmus ihrer singulären Hand als Übertragung mitgibt, etwas Persönliches – und, wenn es nicht so märchenhaft klänge, vielleicht sogar gelegentlich die Spur ihres Blutes einschreibt, wenn der Finger sich an der Nadel ritzt. Nehmen wir die Maschine, der man mit einem Computerprogramm sogar digitale Formen und Motive vorgeben kann, so haben wir den äußersten Grad des Unpersönlichen. Bohlmann zieht beide Arbeitsweisen in einem Bild heran, verklammert Vergangen-Antiquiertes und den neuesten Stand der technischen Moderne als Arbeitstechniken und gibt ihren Stickarbeiten so einen Zeitindex als ästhetische Spannung mit.

 

Nun blicken uns Bohlmanns „Fadenfrauen“ aus ihren Objektkästen entgegen. Bohlmann treibt ihre jahrzehntelangen Portraitstudien, das Interesse an Menschen, Gesichtern und ihren Geschichten damit auf die Spitze. Erstmals dehnen sich ihre Heldinnen in den Raum aus – sie wirken plastisch, haptisch und durch reliefartige Stickerei und Füllmaterial dreidimensional. Das Arrangement und die Präsentation in den Kästen ist gut gewählt: Einerseits scheint die Rahmung Schutz zu gewähren und mit der normalen Präsentation von Kunst zu spielen, einen Kontext von Kunst zu offerieren. Andererseits hängen Bohlmanns „Fadenfrauen“ darin „lose“ und von einem beigegebenen Erzählkontext gelöst. Sie wirken, als wären sie aus der Zeit gefallen.

 

Die „Fadenfrauen“ bewegen sich dicht am Naturalismus, es scheint, als hätte die Künstlerin jeweils einen versonnenen, unbemerkten Moment im Gesicht ihrer Porträtierten abgepasst, in dem sich ein Gedanke über die Stirn schiebt – etwas Persönliches, Einmaliges. Andererseits gibt die Ikonographie, derer sich die Künstlerin bedient, einen zeitenthobenen und überindividuellen Kontext vor: Ins Persönliche schreibt die Künstlerin das Plakative, aber vor allem ins Plakative der kollektiven Bilder das Persönliche. Denn die „Fadenfrauen“ sind einerseits aus unserem kollektiven Bildgedächtnis und Bildspeicher geschöpft – was durch die Arbeitsweise Monica Bohlmanns bedingt ist: Im Internet sucht die Künstlerin ihre Gesichter von Frauen, die sie digital verfremdet, auf den Stoff druckt und als Untergrund ihrer Hand- und Maschinenstickbearbeitung nutzt. Gewissermaßen liest sie ihr Motiv auf, verleibt es sich ein und bearbeitet es intertextuell weiter. Dabei macht sie den Ursprung des Bildes, den sie auf Stoff druckt, fast gänzlich unlesbar, indem sie das Gesicht des computerbearbeiteten Bildes bis auf Augen und Mund verdeckt und bestickt, mehr und mehr mit Gewebe aus geführten Fäden zudeckt. Bohlmann findet so eine eigene Geschichte zu der anonymen Person und schreibt sie mit der geführten Nadel in das aufgelesene Gesicht. Es entstehen reliefartige Flächen, unter denen eine Kraft des ursprünglichen Motivs spürbar bleibt, eine Kraft und Magie, die der einzelnen Fadenfrau mitgegeben wird. Auch aus der Konfrontation der verbleibenden bedruckten und der dominierenden gestickten Flächen ergibt sich immer wieder eine reizvolle Spannung: Ein Drängen am Grunde des Gestickten, das bearbeitete Bildmotiv als untergründiger künstlerische Nähr- und Inspirationsboden ist spürbar.

Wie antike Herrscherinnen sehen Bohlmanns „Fadenfrauen“ aus, gleichzeitig fremd und vertraut, nahbar und unnahbar zugleich. Der Rezipient sucht sein Bildgedächtnis nach blutrünstigen englischen Königinnen, Heiligenfiguren mit ihrer sakralen Aura oder Märtyrerinnen in der Stunde der Agonie ab – und doch wird er nicht fündig. Dass Bohlmann unserem Auge und unserem kollektiven Gedächtnis im Moment des Fündigwerdens immer wieder den Boden entreißt, macht die Kraft und den bodenlosen Witz ihrer Arbeiten aus, die einen immer in einen kleinen produktiven Schwindel hineinziehen.

 

Bohlmann bedient sich durch ihre Arbeitstechnik also der Konnotationen und der Suggestivkraft des Ikonographischen, sogar unseres kollektiven Unbewussten, um diese Kontexte und Horizonte zu benutzen, mit ihnen aber im entscheidenden Moment zu brechen und eigene Wege zu gehen. Das Ergebnis ist vertraut und unvertraut, kollektiv und einmalig, heimelig und unheimlich, persönlich und plakativ. Immer aber wird Bohlmanns Sticknadel – mit Hand oder Maschine geführt – zum Medium, das Zeugnis einer wachen Auseinandersetzung mit unserer Gegenwart ablegt, das das Weibliche mit dem Politischen verbindet und prägnante Geschichten über das Sein in unserer Zeit erzählt. Geschichten vom Leben, das sich bei den Porträtierten in die Haut geritzt hat, unterschiedlich kräftig aufgestickt und haptisch von der Künstlerin präsentiert: dabei aber nie zu dick aufgetragen, sondern vielschichtig wie der Faden erzählt, der all das erst möglich macht: Die Künstlerin Monica Bohlmann lässt damit ein unzeitgemäßes Medium, das Sticken, sogar im Licht und Kontext postmoderner Techniken - der Bricolage, des Samplings oder Zitats, das in neue Kontexte versetzt, und sogar der Ironie - neu wieder aufleuchten. Das ehemals Heimelige der häuslichen Stickarbeit wird in ihren Arbeiten zum Nährboden eines neuen Unheimlichen, zum Ort konstruktiver Kritik und spannungsvoller Auseinandersetzung mit der Gegenwart, die in die Welt hinaus getragen wird: Stich für Stich.

 

 

 

Ausstellung „en vogue“ - Galerie Die Rampe, Bielefeld, 23.2.2005

Eröffnungstext Tanja Kemmer M.A.     (Auszug) 

 ............Interessanter ist die Frage, warum sich die Künstlerin Monica Bohlmann in einer ganzen Reihe ihrer Arbeiten, auf die ich mich hier konzentrieren möchte, dieser Technik bedient.

Mit Sicherheit war und ist das Sticken bis heute eine vorwiegend weibliche Tätigkeit und ohne Zweifel etwas, das in der Regel zuhause ausgeführt wurde und wird, wofür man, besser gesagt frau, nicht unbedingt Gesellschaft braucht - eine dekorative und verschönende Beschäftigung zwischen der Arbeit am Tag und dem Schlaf…

Sticken ist aber auch eine Tätigkeit der Muße, der Entspannung wie auch der Konzentration und, wie Monica Bohlmann betont, sehr lange die „einzige künstlerische Möglichkeit (der Frauen), sich auszudrücken und ihr Leben zu verarbeiten“. Monica Bohlmann greift diese sehr unterschiedlichen Bedeutungsstränge des Stickens auf und einverleibt sie im wahrsten Sinne des Wortes ihren Arbeiten.

 

Ich möchte den inzwischen, hoffe ich zumindest, ad acta gelegten Diskurs um „weibliche Kunst“ nicht neu beleben – dennoch: Bohlmanns Motive sind „weiblich“. Sie zeigt Frauen und die spezifisch weibliche Lebenswelt, die auch Geburt und Mutterschaft umfasst. Sie thematisiert und hinterfragt Weiblichkeit und Schönheit bzw. den Stellenwert, den diese Kategorien in unserer Gesellschaft haben, und auch Formen der Darstellung des weiblichen Körpers – indem sie stickt.

 

In einer Reihe ihrer Arbeiten überarbeitet die Künstlerin gefundene Fotos bzw. Abbildungen von posierenden Models mit dem Computer und überträgt sie auf Stoff. In einem zweiten Schritt bestickt sie diese Vorlagen mit der Hand oder der Maschine, greift also im Grunde ebenso wie ein Stylist in das Erscheinungsbild der Modelle ein.

Allerdings nicht immer in der Weise wie man es vielleicht erwarten würde, möglicherweise als zusätzliche Verzierung der Kleidung oder auch der Haare, sondern auch dort, wo ursprünglich nackte Haut zu sehen war: Dekolletee, Arme und Rücken etlicher ihrer Figuren bestickt sie mit fleischfarbenem Garn, verhüllt diese gewissermaßen, fährt aber gleichzeitig Stich für Stich, Faden für Faden in einer Form dem Körper nach, dass man den inneren Aufbau von Blutbahnen, Sehnen, Muskeln und Knochen zu sehen glaubt.

Auf diese Weise erscheinen die Frauen plötzlich bloß und offen gelegt, die inneren Details durch die Erhabenheit des gestickten Garns fühl- und greifbar nah.

 

Die fast stereotype Perfektion, mit der die Models ursprünglich geschminkt und gestylt worden sind, mit der sie posiert haben, erfährt durch Bohlmanns künstlerische Überarbeitung eine Irritation, einen Bruch: Die Stiche und die Fäden, die Lücken, die dazwischen stehen bleiben, lassen die in dieser Form überarbeitete, zuvor glatte und gleichmäßige Textur ihrer Haut zu einer unregelmäßigen, gebrochenen und strukturierten Oberfläche völlig anderer Ästhetik werden. Der solchermaßen unverstellte Blick ins Innere, die Spur der Nadel, die immer wieder durch den Stoff, durch das Bild geführt worden ist, verleihen den Frauenfiguren mit den sehr mädchenhaften, fast unschuldigen Gesichtern etwas Verletzliches, vielleicht auch Verletztes, und Anrührendes.

1993 ließ sich Matuschka, ehemaliges Fotomodell und Künstlerin aus New York, im New York Times Magazine mit halb entblößtem Oberkörper für das Titelbild ablichten – entblößt dort, wo sie sich die Brust aufgrund diagnostizierten Brustkrebs hatte entfernen lassen müssen – versehrte Schönheit also. Besteht die auch von Bohlmann bewusst intendierte visuelle Irritation in der Unvollständigkeit von Schönheit, in deren Andersartigkeit oder doch eher im Bruch mit der gewohnten Sichtweise?

 

Ein Letztes vielleicht: Die bestickten Oberkörper der Models wirken vor allem dort, wo sie bis zum oberen Ende des Halses reichen, wie feste Panzer, die die Pose gewissermaßen unverrückbar einfrieren, sie erstarren lassen. Die Pose verwächst hier mit der Frau oder vielleicht auch umgekehrt. Interessant an dieser Stelle vielleicht auch, dass in einer

Stickarbeit Bohlmanns der hohe Absatz des (Damen-)Schuhs schon mit der Knochenstruktur des weiblichen Fußes verwachsen scheint ...

 

Die Tätigkeit des Stickens ist definitiv kein spontaner, schneller Prozess, sondern gestaltet sich langwierig und ist damit auch ein Weg der konzentrierten und intensiven Auseinandersetzung mit dem Werk und dessen Inhalt. Monica Bohlmann nimmt ihren Motiven auf diese Weise – ähnlich wie sie es auch malerisch tut - ihre Flüchtigkeit und Alltäglichkeit, verleiht ihnen eine neue, wesentlich dichtere und komplexere Bedeutung und komprimiert sie so zu eindrucksvollen Ikonen von Weiblichkeit.

Tanja Kemmer

 

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