Erzählen mit der Nadel – Monica Bohlmann stickt Gesichter mit untergründigen Geschichten
Von Dr. Stefanie Maeck
Eine Nadel kann einritzen und einstechen, sie kann Haut schmerzvoll verletzen und in sie eindringen, sie kann sie aber auch mit einem Tattoo dekorieren und ihre Fragilität und Verletzlichkeit unterstreichen. Auch Stiche mit der Nähnadel können zart, präzise und von einer sympathetischen Hand geführt sein, oder schrill, insistierend, einen Schmerz unterstreichend und von der Maschine scheinbar ohne jede Anteilnahme ausgeführt. Die Arbeiten der Künstlerin Monica Bohlmann bewegen sich in dem Spannungsfeld von Handarbeit und computergesteuerter Maschinenpräzision.
Nun blicken uns Bohlmanns „Fadenfrauen“ aus ihren Objektkästen entgegen. Bohlmann treibt ihre jahrzehntelangen Portraitstudien, das Interesse an Menschen, Gesichtern und ihren Geschichten damit auf die Spitze. Erstmals dehnen sich ihre Heldinnen in den Raum aus – sie wirken plastisch, haptisch und durch reliefartige Stickerei und Füllmaterial dreidimensional. Das Arrangement und die Präsentation in den Kästen ist gut gewählt: Einerseits scheint die Rahmung Schutz zu gewähren und mit der normalen Präsentation von Kunst zu spielen, einen Kontext von Kunst zu offerieren. Andererseits hängen Bohlmanns „Fadenfrauen“ darin „lose“ und von einem beigegebenen Erzählkontext gelöst. Sie wirken, als wären sie aus der Zeit gefallen.
Die „Fadenfrauen“ bewegen sich dicht am Naturalismus, es scheint, als hätte die Künstlerin jeweils einen versonnenen, unbemerkten Moment im Gesicht ihrer Porträtierten abgepasst, in dem sich ein Gedanke über die Stirn schiebt – etwas Persönliches, Einmaliges. Andererseits gibt die Ikonographie, derer sich die Künstlerin bedient, einen zeitenthobenen und überindividuellen Kontext vor: Ins Persönliche schreibt die Künstlerin das Plakative, aber vor allem ins Plakative der kollektiven Bilder das Persönliche. Denn die „Fadenfrauen“ sind einerseits aus unserem kollektiven Bildgedächtnis und Bildspeicher geschöpft – was durch die Arbeitsweise Monica Bohlmanns bedingt ist: Im Internet sucht die Künstlerin ihre Gesichter von Frauen, die sie digital verfremdet, auf den Stoff druckt und als Untergrund ihrer Hand- und Maschinenstickbearbeitung nutzt. Gewissermaßen liest sie ihr Motiv auf, verleibt es sich ein und bearbeitet es intertextuell weiter. Dabei macht sie den Ursprung des Bildes, den sie auf Stoff druckt, fast gänzlich unlesbar, indem sie das Gesicht des computerbearbeiteten Bildes bis auf Augen und Mund verdeckt und bestickt, mehr und mehr mit Gewebe aus geführten Fäden zudeckt. Bohlmann findet so eine eigene Geschichte zu der anonymen Person und schreibt sie mit der geführten Nadel in das aufgelesene Gesicht. Es entstehen reliefartige Flächen, unter denen eine Kraft des ursprünglichen Motivs spürbar bleibt, eine Kraft und Magie, die der einzelnen Fadenfrau mitgegeben wird. Auch aus der Konfrontation der verbleibenden bedruckten und der dominierenden gestickten Flächen ergibt sich immer wieder eine reizvolle Spannung: Ein Drängen am Grunde des Gestickten, das bearbeitete Bildmotiv als untergründiger künstlerische Nähr- und Inspirationsboden ist spürbar.
Wie antike Herrscherinnen sehen Bohlmanns „Fadenfrauen“ aus, gleichzeitig fremd und vertraut, nahbar und unnahbar zugleich. Der Rezipient sucht sein Bildgedächtnis nach blutrünstigen englischen Königinnen, Heiligenfiguren mit ihrer sakralen Aura oder Märtyrerinnen in der Stunde der Agonie ab – und doch wird er nicht fündig. Dass Bohlmann unserem Auge und unserem kollektiven Gedächtnis im Moment des Fündigwerdens immer wieder den Boden entreißt, macht die Kraft und den bodenlosen Witz ihrer Arbeiten aus, die einen immer in einen kleinen produktiven Schwindel hineinziehen.Bohlmann bedient sich durch ihre Arbeitstechnik also der Konnotationen und der Suggestivkraft des Ikonographischen, sogar unseres kollektiven Unbewussten, um diese Kontexte und Horizonte zu benutzen, mit ihnen aber im entscheidenden Moment zu brechen und eigene Wege zu gehen. Das Ergebnis ist vertraut und unvertraut, kollektiv und einmalig, heimelig und unheimlich, persönlich und plakativ. Immer aber wird Bohlmanns Sticknadel – mit Hand oder Maschine geführt – zum Medium, das Zeugnis einer wachen Auseinandersetzung mit unserer Gegenwart ablegt, das das Weibliche mit dem Politischen verbindet und prägnante Geschichten über das Sein in unserer Zeit erzählt. Geschichten vom Leben, das sich bei den Porträtierten in die Haut geritzt hat, unterschiedlich kräftig aufgestickt und haptisch von der Künstlerin präsentiert: dabei aber nie zu dick aufgetragen, sondern vielschichtig wie der Faden erzählt, der all das erst möglich macht: Die Künstlerin Monica Bohlmann lässt damit ein unzeitgemäßes Medium, das Sticken, sogar im Licht und Kontext postmoderner Techniken - der Bricolage, des Samplings oder Zitats, das in neue Kontexte versetzt, und sogar der Ironie - neu wieder aufleuchten. Das ehemals Heimelige der häuslichen Stickarbeit wird in ihren Arbeiten zum Nährboden eines neuen Unheimlichen, zum Ort konstruktiver Kritik und spannungsvoller Auseinandersetzung mit der Gegenwart, die in die Welt hinaus getragen wird: Stich für Stich.